Michael Hagner

Vier Fragen zu Rolf Dieter Brinkmann

1. Wie und wann sind Sie auf Rolf Dieter Brinkmann aufmerksam geworden?
Das muss noch zu Schulzeiten gewesen sein, also vor 1978. Ich weiß nicht mehr, wie ich an Westwärts 1 & 2 geriet, aber der Sound dieser Gedichte rieselte in mein Ohr. Wenn ich damals nur auf die Idee gekommen wäre, hätte ich den Band wohl eher bei den Platten eingeordnet als bei den Büchern.

© Suhrkamp Verlag

2. Welcher seiner Texte hat Ihnen am besten gefallen?
Rom, Blicke kam im September 1979 heraus und kostete 32 D-Mark. Das konnte ich mir nur leisten, weil ich damals als Hilfspfleger im Krankenhaus mein erstes eigenes Geld verdiente. Ich begann auch sofort mit der Lektüre, die mich endlos lange beschäftigte, aber sie hätte gerne noch länger dauern können, denn es entsprach meinem damaligen Lebensgefühl, wie hier Genauigkeit und Verwirrung, Wut und Sehnsüchte, für die ich wohl anfällig war, in Sprache umgebogen wurden. Daran konnte ich mich orientieren. Über die Hassausbrüche und Gemeinheiten las ich mit halb zugekniffenen Augen hinweg. Sympathisch war das nicht unbedingt, aber wer will schon mit 19 sympathisch sein? Wegkommen von der „Gymnasiastenmentalität“ (Rom, Blicke, S. 322), darum ging es. Außerdem zog ich aus dem Buch weitere Lektüren: Gottfried Benn, Rudolf Bilz, Giordano Bruno, John Cowper Powys (mit seinem Roman Wolf Solent), Hans Henny Jahnn. Blöderweise nur verstand ich damals noch nicht so recht den Unterschied zwischen Realität und präzise gearbeiteter Fiktionalisierung. Wie ein beflissener Bildungsbürger lief ich Ende 1979 mit Rom, Blicke im Kopf durch Rom, was mir meinen ersten Besuch in der Ewigen Stadt ziemlich vermasselt hat.

3. Was hätten Sie Brinkmann gerne noch persönlich gesagt oder gefragt?
Der Mathematiker und Physiker Henri Poincaré hat mal geschrieben: „Der Gedanke ist nur ein Blitz inmitten einer langen Nacht. Aber dieser Blitz ist alles.“ Gilt das auch da, wo du dich jetzt aufhältst?

4. Ergänzen Sie bitte folgenden Satz: Rolf Dieter Brinkmann…
… ist Rolf Dieter Brinkmann ist Rolf Dieter Brinkmann.

 

Zur Person
Michael Hagner, geboren 1960 in Bochum und aufgewachsen in Dortmund, studierte Medizin und Philosophie an der Freien Universität Berlin. Nach der Promotion zum Dr. med. arbeitete er als Neurophysiologe, bevor er sich 1989 der Wissenschaftsgeschichte zuwendete. Er forschte und lehrte in London, Lübeck und Göttingen, bevor er 1995 ans Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte in Berlin ging. Seit 2003 ist er Professor für Wissenschaftsforschung an der ETH Zürich. Neben anderen Auszeichnungen wurde er 2008 mit dem Sigmund-Freud-Preis für wissenschaftliche Prosa der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung ausgezeichnet, deren Mitglied er seit 2010 ist.

Zu seinen wichtigsten Büchern zählen Homo cerebralis. Der Übergang vom Seelenorgan zum Gehirn (Berlin Verlag 1997); Geniale Gehirne. Zur Geschichte der Elitegehirnforschung (Wallstein 2004); Der Hauslehrer. Die Geschichte eines Kriminalfalls (Suhrkamp 2010); Zur Sache des Buches (Wallstein 2015); Die Lust am Buch (Insel-Bücherei 2019) sowie Foucaults Pendel und wir. Anlässlich einer Installation von Gerhard Richter (Walther König 2021). In Kürze erscheint Die moralische Ökonomie des Buches (Suhrkamp 2025).

Mehr Informationen
Webprofil von Michael Hagner (ETH Zürich)

Über Roberto Di Bella

Dr. Roberto Di Bella: Literaturwissenschaftler & Kulturvermittler
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